Um Synergien zu nutzen muss auch hier das Gesamtsystem betrachtet werden und die Erzeugung, Verteilung, Speicherung und Nutzung von Wärme, Kälte und Strom als Energiekreislauf im Gebäude komplett anders gedacht werden.

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Interview mit Andreas Gärtl

Stand Sommer 2021

Alle reden vom Klimaschutz, was kommt denn da eigentlich auf uns zu?

Gerade aktuell hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 24. März 2021 entschieden, dass die Regierung mehr für den Klimaschutz tun muss. Die EU will die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55% senken, statt bisher 40%. Für Deutschland könnten das um 62-68% reduzierte CO2-Emissionen bedeuten, die zudem weiterhin jährlich sinken sollen.

Wir werden also in allen Sektoren deutliche Reduktionen erreichen müssen. Industrie, Landwirtschaft, Wohnen, Gewerbe, kommunale Infrastruktur, Verkehr und Mobilität, Energieerzeugung. Das bedeutet im Wesentlichen eine Abkehr von fossilen Brenn- und Treibstoffen, eine massive Einsparung des Energiebedarfs und die Abdeckung mit erneuerbaren Energiequellen, wie Erdwärme, Solarenergie, Biomasse, solarem Wasserstoff oder sogenannten e-fuels. Gleichzeitig brauchen wir eine übergreifende Koppelung von Sektoren zur Nutzung von Synergieeffekten zwischen den einzelnen Erzeugungsbereichen.

Dem Gebäudebestand kommt dabei eine große Rolle zu, denn knapp 40% des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland entfällt auf Beleuchtung, Raumwärme und Warmwassererzeugung im Gebäudebereich.

Dabei könnte ein alter, unsanierter Gebäudebestand mit eingeführten Technologien bei einer Gesamtsanierung problemlos um 90% seiner CO2-Emissonen reduziert werden und bei sinnvollen Konzepten sogar klimaneutral oder zu einem  Energie-Überschuss-Gebäude verbessert werden.

 

Ist das denn alles wirtschaftlich?

Viele Maßnahmen sind schon lange wirtschaftlich, aber wie so oft gilt auch hier das Pareto-Prinzip: 80 % der Ergebnisse werden mit 20 % des Gesamtaufwandes erreicht werden. Die verbleibenden 20 % der Ergebnisse erfordern mit 80 % den quantitativ größten Aufwand. D.h. die CO2-Emissionen um 50 oder 60 % zu reduzieren, ist keine Kunst mehr. Aber die letzte Meile bis hin zum Energie-Überschuss-Haus, zur Klimaneutralität oder gar zur Autarkie, sind deutlich schwieriger und kostenaufwändiger zu erreichen.

Aber seit vielen Jahren bietet der Gesetzgeber Bauherren und Eigentümern im Bereich der Gebäudesanierung und des Neubaus Förderungen und Zuschüsse bei den Investitionskosten, sodass sich die Maßnahmen spätestens damit für den Bauherrn und Eigentümer auch wirtschaftlich darstellen lassen. Auch die Energieplanung selbst wird gerade stark bezuschusst.

 

Wohin geht denn die Entwicklung?

Wir bauen heute Gebäude, die sich überspitzt gesprochen mit einem Tauchsieder erwärmen lassen. Der Heizwärmebedarf wird immer geringer. Immer wichtiger wird die Kühlung im Sommer. Und das lässt sich beides nicht sinnvoll mit der Verbrennung von fossilen Brennstoffen erreichen. Es wird quasi mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Aber auch der Gedanke, die alte Gasheizung einfach gegen eine Wärmepumpe zu tauschen, greift viel zu kurz. Um Synergien zu nutzen muss auch hier das Gesamtsystem betrachtet werden und die Erzeugung, Verteilung, Speicherung und Nutzung von Wärme, Kälte und Strom als Energiekreislauf im Gebäude komplett anders gedacht werden. Wir haben dazu einen modularen Baukasten entwickelt, der technisch ausgereifte, eingeführte Einzelkomponenten zu einem intelligenten Energiesystem verbindet.

Es gibt also maßgeschneiderte Lösungen vom Einfamilienhaus bis zur Firmenzentrale und vom Kindergarten bis zum Rathaus. Vom Neubau über die Sanierung bis hin zum denkmalgeschützten Gebäude. Alle diese Gebäudearten können – angepasst an ihre individuellen Bedürfnisse – sinnvoll beheizt, gekühlt und mit Energie versorgt werden. Und das in mehreren Ausbaustufen, je nach Anforderung primär wirtschaftlich betrachtet, oder klimaneutral in der Jahresbilanz bis hin zu einem negativen CO2-Fußabdruck mit Energieüberschuss.

 

Und wie sieht sowas im konkreten Fall aus, beispielsweise bei der Sanierung eines Gebäudes?

Im ersten Schritt wird die Gebäudehülle analysiert und geprüft, wo man was verbessern kann. Im Idealfall bei einer Komplettsanierung kann hier eine Einsparung um 2/3 des bisherigen Primärenergiebedarfs erreicht werden. Im zweiten Schritt muss der Restbedarf durch eine sinnvolle, möglichst regenerative Energie- und Anlagentechnik abgedeckt werden. Damit kann eine weitere Reduzierung um ein Drittel erreicht werden. Insgesamt betrachtet ist das eine Verbesserung um den Faktor 10 (1/3 x 1/3 = 1/9 à Reduktion um 90%). Im dritten Schritt ist dann zu klären, was darüber hinaus das Ziel ist: Wirtschaftlichkeit, Klimaneutralität oder gar Energieautarkie.

 

Was ist denn der Unterschied zwischen Klimaneutralität und Energieautarkie?

Unter Klimaneutralität versteht man, dass das Gebäude in der Jahresbilanz CO2-neutral betrieben werden kann, d.h. dass es so sparsam ist, dass es mit einem Teil des selbstproduzierten PV-Stroms, der ins Netz eingespeist wird, die dann schon minimalen Emissionen im Jahresdurchschnitt auf 0 kg CO2 Emissionen oder darunter kompensieren kann. Das bedeutet im Normalfall, dass das Haus im Sommer mehr Energie produziert und im Winter Energie zuführen muss. Die Bilanz über das Jahr gesehen ist aber null oder negativ.

Autark ist da noch eine ganze Stufe aufwändiger. Man kann es auch als „Insellösung“ bezeichnen. Das Gebäude ist in jedem Augenblick in der Lage, den eigenen Energiebedarf aus Energiequellen wie Solar oder Erdwärme in Verbindung mit Speichertechnologien selbst abzudecken. Diese Stufe ist in den meisten Fällen nicht wirtschaftlich. Es kann aber mit Förderungen und durch Auflagen sinnvoll sein, diese Stufe zu erreichen oder sich daran anzunähern.

 

In diesem Zusammenhang haben Sie sich dem „in:flow“-Konnzept beschäftigt. Was hat es damit auf sich?

Genau das, was ich gerade beschrieben habe: Eine maßgeschneiderte Lösung für das jeweilige Bauvorhaben, die aus ausgereiften Einzelkomponenten modular zu einem synergetisch optimalen Gesamtsystem mit intelligenter Steuerung zusammengefügt wird. Dabei gibt es verschiedene Ausbaustufen, die je nach Gegebenheit und Anforderung die Wirtschaftlichkeit, den Autarkiegrad, die Energieeffizienz und/oder den Klimaschutz in den Mittelpunkt stellt. Man könnte es als modularen Weg zu energieeffizienten Gebäuden bezeichnen.

Im Vorfeld wird das Gebäude mit dem Energiesystem in verschiedenen Varianten simuliert, um die optimale Anlagenzusammenstellung zu ermitteln. Hierbei kann unter Berücksichtigung der Kosten und der Fördermittel auch eine eindeutige Aussage zur Wirtschaftlichkeit und Amortisation der Maßnahmen gegenüber einer Standardvariante geprüft werden. Die Entscheidung für oder gegen eine der Varianten kann dann aufgrund von Kosten, Förderung, Amortisation, CO2-Emissionen und Autarkiegrad getroffen werden. Und jeder Bauherr hat da natürlich seine eigenen legitimen Vorstellungen und Prioritäten.

 

Gibt es vergleichbare Projekte am Markt?

Natürlich gibt es ähnliche Ansätze wie „in:flow“, die möglicherweise auch funktionieren. Ich kann aber sagen, dass ich voll und ganz hinter diesem System stehe, weil es alle Vorteile aufweist, die ich für die unterschiedlichen Arten meiner Projekte brauche: Modular erweiterbar, in der Größe skalierbar, an individuelle Gegebenheiten anpassbar und trotzdem aus ausgereiften Standardkomponenten, die mit einer optimierbaren Steuerung verbunden und geregelt werden. Was will man mehr?

 

Wer sind Ihre Kunden und wie gewinnen Sie neue?

Das Büro war anfangs nur mit Energieberatungen von Einfamilienhäusern beschäftigt. Inzwischen machen wir Energiekonzepte und Planungen für private, gewerbliche und kommunale Bauherren. Die Projekte reichen bis hin zu großen Wohnanlagen mit über 100 Wohneinheiten, Bürogebäuden, Mehrzweckhallen und Rathäusern. Aber auch kleine Projekte sind eine willkommene Herausforderung, vor allem auch im Denkmalschutzbereich. Allen Projekten gemeinsam ist als Schwerpunkt ein schlüssiges Energiekonzept vom Energieeffizienzhaus bis hin zum Energie-Überschuss-Haus.

Und zu Ihrer zweiten Frage: Viele Bauherren suchen uns speziell als Energiefachplaner auf. Doch die beste Empfehlung ist immer noch ein erfolgreich abgeschlossenes Projekt und zufriedene Bauherren. Daher ist die persönliche Empfehlung natürlich die beste Visitenkarte!

 

Was macht ein Herr Gärtl eigentlich privat am liebsten?

Oh, ich koche sehr gerne, das finde ich sehr entspannend. Und dieses Jahr würde ich gerne mal was Neues ausprobieren: Paragliding. Ich habe da letztes Jahr ein paar alten Herren zugeschaut, die mit über 80 Jahren mit ihren Gleitschirmen von einem Berg abgeflogen sind. Das wäre doch ein Hobby für das Alter, oder?

 

Was kann Sie wütend machen?

Vor allem ein übertriebener Zeitdruck ärgert mich oft. Denn mit etwas mehr Zeit und Hirnschmalz, das man im Vorfeld in ein Projekt investieren kann, kommt am Ende eine viel bessere Gesamtlösung zustande. Wenn alles schnell, schnell gehen muss, ist das Ergebnis meistens suboptimal. Eine vergebene Chance, etwas gut zu machen… Schade!

 

Was treibt Sie im Leben an?

Ich kann sagen, dass ich meine beruflichen Entscheidungen nicht an einem Karrieregedanken fest gemacht habe. Deshalb habe ich nie den geraden Weg genommen und viele Haken geschlagen, die für Außenstehende unverständlich waren. Ich hatte immer Spaß an der Sache, eine Neugier und Freude für die Tätigkeit. Und das ist bis heute so geblieben. Die Dinge, die ich tue, will ich mit Begeisterung machen.

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